Übersicht aller Themen B. Hiekisch, S13/1

LPE8:

Die sozial-kognitive Theorie


Die sozial-kognitive Theorie gehört zu den Lerntheorien. Sie geht auf den amerikanischen Psychologen Albert Bandura zurück und erklärt, wie Menschen Verhaltensweisen durch Reproduktion beobachteten Verhaltens erlernen.


Übersicht


Das Lernen am Modell

Das Lernen am Modell beschreibt den Prozess, in welchem eine Person, die Beobachterin, bestimmte Erlebens- und Verhaltensweisen übernimmt, die sie bei einer anderen Person, dem Modell, beobachtet und es dadurch zu einer Erlebens- und Verhaltensänderung bei der Beobachterin kommt. Modelle können dabei sowohl reale als auch fiktive Personen sein, letztere werden auch als symbolische Modelle bezeichnet.


Die Phasen des Modelllernens

Das Modelllernen findet in zwei Phasen statt. In der Aneignungsphase findet erst der Aufmerksamkeitsprozess statt, in welchem die Beobachterin die für sie wichtigsten Verhaltensweisen zur genauen Beobachtung auswählt. Weiter findet der Gedächtnisprozess statt: Das Beobachtete wird von der Beobachterin so lange als symbolische Repräsentation in Form von bildlichen und sprachlichen Symbolen gespeichert, bis sich die Beobachterin einen Nutzen aus der Nachahmung des Verhaltens verspricht. Der Aneignungsphase folgt die Ausführungsphase, in welcher erst der Reproduktionsprozess stattfindet: Aus den gespeicherten Kodierungen werden jene ausgewählt, die für das Verhalten relevant sind. Dieses Verhalten wird nun geübt und korrigiert und währenddessen mit den Ergebnissen des Verhaltens des Modells abgeglichen. In beiden Phasen spielt der Motivationsprozess eine wichtige Rolle. Ein Verhalten wird nur beachtet und übernommen, wenn sich die Beobachterin einen Vorteil aus der Nachahmung verspricht.


Die Bedingungen der Aufmerksamkeit

Entscheidend für die Aufmerksamkeit der Beobachterin sind die Persönlichkeitsmerkmale der Beobachterin und des Modells, die Beziehung zwischen beiden Parteien und gegebene Situationsbedingungen. Besonders beobachtet werden Modelle, die soziale Macht, hohes Ansehen, Sympathie oder Attraktivität besitzen, oder wenn sie Bedürfnisse der Lernenden befriedigen können. Eine Beobachterin tendiert zu erhöhter Aufmerksamkeit, wenn sie Merkmale wie geringe Selbstachtung oder Selbstvertrauen tragen. Dabei sind ihre Interessen, Bedürfnisse und Wertvorstellungen aber auch Gefühle, Stimmungen und Triebe entscheidend für die Wahl des Modells. Die Beziehung bedingt eine hohe Nachahmungsbereitschaft, wenn eine positive emotionale Bindung, eine Abhängigkeit der Beobachterin vom Modell oder eine hohe Quantität der Beobachtung besteht. In der unmittelbaren Situation kann ein positiver emotionaler Zustand der Beobachterin die Aufmerksamkeit erhöhen, während ein negativer den gegenteiligen Effekt erzielt. Generell besteht die höchste Aufmerksamkeit, wenn sich die Beobachterin in einem mittleren Erregungszustand befindet. Die Aufmerksamkeit wird außerdem erhöht, wenn das Modell mit ihrem Verhalten stark auffällt, wenn sich die Beobachterin Vorteile von der Beobachtung verspricht und wenn die Beobachterin bereits nützliche Erfahrungen mit dem Modelllernen gemacht hat.


Arten der Bekräftigung

Bandura definierte zwei Arten der Bekräftigung, die die Auftretenswahrscheinlichkeit eines übernommenen Verhaltens erhöhen. Bei der externen Bekräftigung erfährt ein Mensch angenehme Konsequenzen oder vermeidet negative, bei der direkten Selbstbekräftigung belohnt sich die Lernende selbst nach einem dem Verhaltensstandard entsprechenden Verhalten. Ebenso gibt es zwei Arten der Bekräftigung, die die Wahrscheinlichkeit der Übernahme eines Verhaltens erhöhen. Bei der stellvertretenden Bekräftigung beobachtet die Lernende, dass das Verhalten eines Modells zu angenehmen Konsequenzen führt oder negative Konsequenzen vermeidet. Bei der Stellvertretenden Selbstbekräftigung beobachtet sie, wie sich ein Modell für ein Verhalten selbst belohnt.


Die Effekte des Modelllernens

Beim Lernen am Modell können verschiedene Effekte auftreten. Der Modellierende Effekt bezeichnet das Erlernen neuer Verhaltensweisen sowie Einstellungen. Die Beobachteten Verhaltensweisen werden dabei neu organisiert und zu neuen Kombinationen zusammengefügt. Ein enthemmender Effekt tritt auf, sobald die Beobachterin als Konsequenz auf ein Verhalten keine negativen oder gar positive Ergebnisse wahrnimmt, so wird Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Verhalten übernommen wird. Ein hemmender Effekt mündet genau im Gegenteil, er tritt auf, wenn Modellverhalten negative Konsequenzen nach sich zieht. Ebenso gibt es einen auslösenden Effekt: Das Verhalten eines Modells veranlasst andere Menschen, es unmittelbar nachzuahmen.


Die Erwartungshaltungen

Die Motivation, der entscheidende Faktor für das Aneignen und Wiedergeben von Modellverhalten, hängt eng mit den Erwartungshaltungen der Lernenden zusammen. Ergebniserwartungen werden jene Konsequenzen genannt, die sich eine Person vom Nachahmen eines Verhaltens verspricht. Die Kompetenzerwartung ist die von der Beobachterin vorgenommene subjektive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein Verhalten erfolgreich wiederzugeben. Die Aussicht auf Selbstbekräftigung ergibt sich aus der Erwartung einer günstigen Selbstbewertung beim Zeigen eines nachzuahmenden Verhaltens. Selbstregulierung bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, sich selbst zu motivieren, sich eigene Ziele und Parameter zur Bewertung des eigenen Verhaltens zu setzen und das Verhalten dementsprechend zu ändern.


Folgerungen für die Erziehung

Aus der Sozial-Kognitiven Theorie ergeben sich einige Folgerungen für gelungene Erziehung. Erzieherinnen sollen Modell für das Verhalten sein, das sie bei der zu Erziehenden erreichen wollen. Sie müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Sie sollen Modellverhalten sicher und mit Überzeugung demonstrieren. Sie müssen soziale Macht besitzen, Ansehen genießen, sympathisch erscheinen und die Bedürfnisse des Kindes befriedigen. Die Erzieherinnen sollen eine positive emotionale Beziehung zur zu Erziehenden aufbauen. Sie sollen dem Kind bei der Verarbeitung von Modellen aus der Umwelt unterstützen.


Das Menschenbild der Sozial-Kognitiven Theorie

Bandura sieht den Menschen als leistungsorientiertes Wesen, das ständig nach Leistungssteigerung strebt. Beim Lernen ist der Einsatz kognitiver Fähigkeiten immanent, der Mensch ist ein proaktives, selbstbewusstes Wesen, ein Subjekt. Zwischen dem Menschen und seiner Umwelt findet eine gegenseitige Beeinflussung statt. Persönlichkeit, Verhalten und Umwelt bilden ein dynamisches Kräftesystem, deren Komponenten sich konstant gegenseitig beeinflussen.


Die Bewertung der Sozial-Kognitiven Theorie

Die Sozial-Kognitive Theorie ist wissenschaftlich fundiert, sie basiert auf experimenteller Forschung, überwiegend am Menschen. Sie lässt sich in vielen alltäglichen Situationen, in der Erziehung und in den Medien plausibel anwenden. Sie beschränkt sich lediglich auf den Teil menschlichen Erlebens, der auf Beobachtung zurückgeht. Die Möglichkeit des Lernens aus intrinsischer Einsicht und Wandlungen ist kein Teil der Theorie, der Aspekt der menschlichen Persönlichkeit bleibt weitgehend unbeachtet.


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Pub: 25 Jan 2022 09:54 UTC

Edit: 13 Apr 2022 09:31 UTC

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