Übersicht aller Themen B. Hiekisch, S13/1

LPE7:

Psychoanalyse


Mit der psychoanalytischen Theorie etablierte Sigmund Freud die Psychologie als wissenschaftliches Feld. Während weite Teile der Theorie inzwischen überholt sind, ist ihr Einfluss auf das (frühe) 20. Jahrhundert kaum zu überschätzen.


Übersicht:


Die Grundannahmen der Psychoanalytischen Theorie

Die psychoanalytische Theorie nach Sigmund Freud geht davon aus, dass das Verhalten und Wahrnehmen des Menschen durch drei Faktoren maßgeblich beeinflusst werden: Von psychischen Vorgängen, die sich aus der individuellen Vergangenheit erschließen; von unbewussten Informationen und Erfahrungen, die dem Menschen nicht zugänglich sind; und primär von seinen Trieben. Ersteres nannte Freud den „psychischen Determinismus“, zweiteres den „Einfluss des Unbewussten“ und letzteres die „Triebsteuerung.“


Die Stufen des Bewusstseins

Freud unterschied zwischen drei Stadien des Bewusstseins. Die erste Sektion, das „Bewusste“, besteht aus Informationen und Erfahrungen, die jederzeit ohne kognitive Anstrengung abgerufen werden können. Das „Vorbewusste“ erfordert dem gegenüber kognitive Anstrengungen. Das „Unbewusste“ ist dem Menschen nur mit externer Hilfe zugänglich.


Das Instanzenmodell

Nach Freud erschließt sich die Persönlichkeit des Menschen aus drei verschiedenen Instanzen: dem ES, dem ICH und dem ÜBER-ICH. Das ES ist die Instanz der Triebe und Bedürfnisse. Es kennt keine Moral und strebt blind nach der Erfüllung seiner Wünsche. Es verkörpert das Lustprinzip. Das ÜBER-ICH ist die Instanz der Moral- und Normvorstellungen. Es bewertet die Forderungen des ES und ist Träger des ICH-Ideals, das ICH strebt danach, wie das ÜBER-ICH zu sein. Es verkörpert das Moralitätsprinzip. Das ICH ist die vermittelnde Instanz. Es sucht nach Kompromissen zwischen Außenwelt, ES und ÜBER-ICH. Es setzt sich mit der Realität auseinander und verkörpert demnach das Realitätsprinzip.


Ängste

Wenn dem ICH keine Kompromissbildung gelingt, entsteht ein Ungleichgewicht der Instanzen, eine ICH-Schwäche bezogen auf die unterlegene Instanz. Hieraus kann eine Angst resultieren, der der Mensch mit einer realistischen Lösung oder mit Abwehrmechanismen beikommen kann. Es gibt dabei drei Arten der Angst: Die Moralische Angst vor Gewissensbissen und Liebesverlust, die Realangst vor Konsequenzen in der Realität und die Neurotische Angst, von den Wünschen des ES überwältigt zu werden.


Die Entstehung psychischer Störungen

Nach Sigmund Freud entstehen psychische Störungen nach einem festen Schema: Aus Fehlformen der Erziehung entsteht ein Ungleichgewicht der Instanzen, eine Angst. Wenn keine realistische Lösung gelingt, werden Abwehrmechanismen eingesetzt, die realitätsunangepasstes Verhalten, eine seelische Fehlentwicklung zur Folge haben können.


Die psychoanalytische Trieblehre

Freud unterschied zwischen Triebquelle, Triebobjekt und Triebziel: Die Triebquelle ist das Körperteil/der Reiz, von dem der Trieb ausgeht. Der Trieb ist auf ein Triebziel ausgerichtet, also auf die Befriedigung des Triebes. Dies geschieht am Triebobjekt, an dem das Triebziel realisiert werden kann (z.B. Personen oder Gegenstände). Dabei unterschied Freud zwei Haupttriebe: Eros, den Lebenstrieb, und Thanatos, den Todestrieb. Eros ist auf Selbst- und Arterhaltung, auf Über- und Weiterleben und auf Fortpflanzung ausgerichtet, ihm liegt die Libido zugrunde. Thanatos ist auf die Zerstörung des Lebens in den anorganischen Zustand, auf (Selbst-)Hass und Aggression, auf Zerstörung und Destruktivität ausgerichtet. Seine Energie ist Destrudo.


Die Phasen der psychosexuellen Entwicklung

Nach Freuds Phasenmodell durchlebt jedes Kind im Entwicklungsprozess drei Phasen: Die orale, die anale und die phallische Phase. In der oralen Phase, die Freud dem ersten Lebensjahr zuschrieb, fokussiert sich das Kind auf den Mund als erogene Zone. Hier baut das Kind seine Beziehung zur Umwelt auf. Schlucken, Saugen, Lutschen, Aufnahme stehen als zentrale Aspekte im Mittelpunkt der Triebbedürfnisse des Kindes. Positive Erfahrungen in der oralen Phase ermöglichen dem Kind die Entwicklung einer optimistischen Lebensgrundeinstellung, Mut und Vertrauen. Negative Erfahrungen jedoch dienen der Entwicklung einer pessimistischen Lebensgrundeinstellung, Furcht, Egoismus, Misstrauen, Eifersucht, Gier, Riesenansprüche, Süchte und Störungen des Explorationsverhaltens. Um dem vorzubeugen ist der Aufbau einer emotionalen Bindung zum Kind vonseiten der Erzieherinnen besonders wichtig. Zudem sollten Erzieherinnen dem Kind ausreichend Reize bieten, für ausreichende Befriedigung oraler Reize sorgen und die Bedeutung früher Lebenserfahrungen erkennen, um dem Kind ein gutes Heranwachsen zu ermöglichen.

In der analen Phase, im 2. und 3. Lebensjahr fokussiert sich das Kind auf den After als erogene Zone, der Prozess des Ausscheidens, das Spielen mit Ausscheidungsprodukten, sowie Aspekte des Gebens und Nehmens werden in dieser Phase etabliert. Auch finden in der analen Phase die Reinlichkeitserziehung und die Entwicklung der Einstellung zur Leistung statt. Positive Erfahrungen in dieser Phase ermöglichen dem Kind die Entwicklung von Pflichtbewusstsein, Selbstständigkeit, Durchsetzungsvermögen und Offenheit. Negative Erfahrungen hingegen können sich im Laufe des Lebens in Unselbstständigkeit, Besitzstreben, Machtstreben, Unterordnung, Eigenwillen, Pedanterie, Schuld- Scham- oder Ekelgefühle, Reinlichkeitsfanatismus und Zwangsverhalten wie z.B. Ticks, Stottern, etc. manifestieren. Für die Erziehung sind in der analen Phase besonders der Aufbau eines warmen Erziehungsklimas, ein möglichst ungestörtes Eltern-Kind-Verhältnis, adäquate Reinlichkeitserziehung und die Gewöhnung des Kindes an bestimmte Orte, wie das Bad, wichtig.

In der phallischen Phase, die dem 4. und 5. Lebensjahr zugeschrieben wird, erlernt das Kind seine eigene Geschlechterrolle. Die Genitalien agieren als erogene Zone und das Betrachten jener sowie das Spielen mit selbigen dienen als zentrale Verhalten zur Triebbefriedigung. In der phallischen Phase wird das Kind zudem mit dem Ödipuskonflikt konfrontiert was, infolge einer Überwindung jenes, die Bejahung der eigenen Geschlechterrolle ermöglicht. In der phallischen Phase entwickeln sich nach Freud Sexualneurosen wie Impotenz oder „Liebesunfähigkeit“, auch begünstigen schlechte Erfahrungen Über- oder Unterlegenheitsgefühle gegenüber dem anderen Geschlecht, Exhibitionismus und Voyeurismus. Bei Buben entwickeln sich in dieser Phase auch Erfolgsorientierung, Konkurrenzdenken, Betonung der Maskulinität, Potenz und Machogehabe. Bei Damen hingegen kann sich eine Neigung zum Verführerischen oder Koketterie ausbilden. Erzieherinnen sollten in der phallischen Phase besonders auf ein gutes Familienklima achten, eine Integration in die Beziehung der Eltern ermöglichen, Vorbildwirken für die Geschlechterrollen leisten und Akzeptanz für die kindliche Interaktion mit den Genitalien aufbringen.


Fixierung und Regression

Nach Freud kann laissez-faire, indifferente oder überautoritäre Erziehung zu einer unzureichenden Befriedigung der Triebwünsche des ES führen. Daraus resultiert eine Triebfrustration über die ausbleibende Befriedigung, die in einer Regression oder Fixierung resultieren kann.

Dagegen können überbehütende und verwöhnende Erziehung eine Übermäßige Befriedigung der Triebwünsche hervorrufen, was wiederum in einer Fixierung oder Regression resultieren kann.


Die psychoanalytische Therapiepraxis

Die klassische psychoanalytische Therapie folgt einem festen Schema: Erst geschieht eine Anamnese, die Klientin wird über ihre Vorgeschichte befragt. Nun folgt die Exploration, in der die Klientin von ihren derzeitigen Verhältnissen berichten soll. Bei einer freien Assoziation wird die Klientin aufgefordert, alles, was ihr in den Sinn kommt, auszusprechen, egal wie peinlich oder unwichtig es ihr erscheint. Bei der Traumanalyse berichtet die Klientin von einem Traum. Aus dem berichteten manifesten Trauminhalt, also dem der Klientin bekannten Inhalt, interpretiert die Therapeutin den latenten Trauminhalt, also die zugrundeliegenden Bedürfnisse und Wünsche. In der Traumdeutung legt die Therapeutin, sofern sie die Klientin als bereit einschätzt, ihre Interpretation des Traumes vor. Wenn dies zu früh geschieht, leistet die Klientin Widerstand, sie wehrt sich gegen die Interpretation, wird offensiv und streitet sie ab. Im Laufe der Therapie kommt es zur Übertragung, die Klientin identifiziert die Therapeutin mit einer Person oder einem Ereignis aus ihrer Vergangenheit. Dem folgt die Gegenübertragung: Die Therapeutin kann sich durch Selbstbeobachtung und -analyse besser in die Klientin hineinversetzen und die Klientin merkt, wie die Therapeutin anders auf sie reagiert als die ursprünglich übertragene Person.


Die Kritische Würdigung der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse nach Freud war eine der einflussreichsten Theorien des frühen 20. Jahrhunderts. Sie etablierte die Psychologie als legitimes Feld der Medizin und später auch der Wissenschaft. Und hierin steckt bereits Kritik: Die Psychoanalyse ist nicht ausreichend mit empirischen Beweisen gedeckt. Auch klammert sie die Selbststeuerung des Menschen fast komplett aus: Für Freud ist der Mensch ein reines Triebwesen. Ebenfalls widerspricht er sich in einigen seiner Publikationen. Seine Theorie der Libidoentwicklung sowie die Theorie des Todestriebs sind heutzutage kaum haltbar.


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Pub: 26 Jan 2022 07:40 UTC

Edit: 12 Apr 2022 15:36 UTC

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