Übersicht aller Themen B. Hiekisch, S13/1
LPE10:
Erziehung und Bildung
Sowohl Bildungs- als auch das Erziehungsideale haben sich im Laufe der Jahrhunderte mit dem Wandel von Werten und Normen stark verändert. Das so entstandene moderne, westliche Erziehungs- und Bildungsideal ist dabei stark humanistisch und, mit der Pädagogik als Wissenschaft, empirisch geprägt.
Übersicht:
Erziehungs- und Bildungsprozesse
Definition
Erziehung ist immer zielgerichtet (Ziel: Selbstständigkeit/Mündigkeit).
Erziehung basiert auf Interaktion zwischen beiden Parteien.
Erziehung setzt eine besondere zwischenmenschliche Beziehung voraus.
Erziehung ist als soziales Handeln bewusst, willentlich, planmäßig und reflektierbar.
Erziehung ist Lernen.
Der Erziehungsbegriff
Beim Erziehungsbegriff unterscheidet man zwischen drei Arten:
- Intentionale Erziehung: Absichtlich von Erziehern gesetzte Handlungen, um beim Kind ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ergo direkte, bewusste Erziehung
- Funktionale Erziehung: Erzieherische Effekte, die als Nebenprodukt einer anderen Tätigkeit zufällig erreicht werden. Ergo implizite Erziehung, (=Sozialisation)
- Extensionale Erziehung: Bewusst gesetzte Impulse zum indirekten Lernen. Ergo Erziehung durch bewusst gesetztes Umfeld, indirekte Erziehung
Erziehung und Sozialisation
Sozialisation bezeichnet das Hereinwachsen eines Menschen in eine soziale Rolle gemäß seiner Erziehung, sowie externer Faktoren, die der Lernende in Interaktion mit anderen Menschen, Regeln und Normen erlernt.
Während „Erziehung“ nur geplante, zielgerichtete Lernprozesse durch Interaktion zwischen Erzieherinnen und zu Erziehenden meint, bezeichnet der Begriff „Sozialisation“ sämtliche Lernprozesse zur sozialen Akklimatisierung, also neben der Erziehung selbst auch externe, indirekt durch soziale Interaktion und allgemeines Erleben von Normen und Regeln herbeigeführte Lernprozesse.
Bildung
Bildung ist der Prozess und das Ergebnis der Erschließung der Welt für den Menschen und des Menschen für die Welt durch aktive Auseinandersetzung des Einzelnen mit ihr.
Bildung beinhaltet folglich:
- aktive Auseinandersetzung mit der Welt
- Vorgang der Erschließung der Welt für den Menschen
- Vorgang der Erschließung des Menschen für die Welt
Selbstbildung und Ko-Konstruktion
Selbstbildung bezeichnet die Annahme, dass Bildungsprozesse immer aktive Prozesse der Lernenden sind und durch Beobachtung und Verarbeitung von Umwelteinflüssen vollzogen werden.
Die gezielte und geplante Darbietung solcher Umwelteinflüsse nennt man „Ko-Konstruktion“.
Erziehungsziele
Definitionen
Erziehungsziele sind bewusst gesetzte Wert- und Normvorstellungen über das Ergebnis der Erziehung, die Auskunft darüber geben, wie sich der Erziehende gegenwärtig und zukünftig verhalten soll und wie Eltern und andere Erzieher in der Erziehung handeln sollen.
Soziale Werte sind in einer Gesellschaft oder in einer ihrer Gruppen vorherrschende Vorstellungen über das Wünschens- und Erstrebenswerte und bilden allgemeine Orientierungsmaßstäbe für das Verhalten von Menschen.
Soziale Normen sind mehr oder weniger verbindliche Verhaltensvorschriften, die bestimmen, wie die Werte einer Gesellschaft oder Gruppe zu erfüllen und zu befolgen sind, und so das Tun und Lassen der Mitglieder dieser Gesellschaft oder Gruppe regulieren.
Ergo: Erziehungsziele sind immer abhängig von den jeweiligen Werten und Normen einer Gesellschaft.
Funktionen von Erziehungszielen
Erziehungsziele dienen vier Kernkonzepten:
- Verwirklichung von Wert- und Normvorstellungen/gesellschaftlichen Interessen
- Organisation der Erziehung
- Reflexion erzieherischen Verhaltens
- Verbesserung der Erziehungspraxis
Probleme von Erziehungszielen
Erziehungsziele dienen jedoch nicht nur der Verbesserung und Realisierung der Erziehung, sie können auch problematisch sein.
- Unsicherheit durch Werte- und Normenpluralismus: Die verschiedenen Werte und Normen einer Gesellschaft verwirren den zu Erziehenden.
- Normenkonflikt: Zwei oder mehr bewusst gesetzt Erziehungsziele negieren sich gegenseitig.
- Unrealistische und unerreichbare Ideale
- Verbauung der Zukunftsoffenheit (Bsp. Weimarer Republik)
- Weltanschauliche Manipulation
- Erzeugung falschen Bewusstseins
- Verschleierung von Macht- und Interessensansprüchen
Der Wandel von Erziehungszielen
Mit der Gesellschaft stehen auch Erziehungsziele in einem konstanten Wandel, ein solcher kann durch verschiedene Faktoren bedingt sein:
- politische Interessen und Gegebenheiten
- Weltanschauung und Menschenbild
- kulturelle und soziale Begebenheiten
- ökonomische Interessen und Gegebenheiten
- wissenschaftliche Erkenntnisse
- Persönlichkeitsmerkmale des Erziehers
- Persönlichkeitsmerkmale des zu Erziehenden
Pädagogische Mündigkeit als Erziehungsziel
Mündigkeit setzt sich aus drei Teilkompetenzen zusammen:
- Selbstkompetenz
- Sozialkompetenz
- Sachkompetenz
pädagogische Mündigkeit ist ein Prozess! Mündigkeit erfordert lebenslanges Weiter- und Umlernen, um mündig zu bleiben.
Erziehungsmaßnahmen
Definitionen und Kategorisierung
Unter Erziehungsmaßnahmen versteht man alle Handlungen der Erzieherin, mit denen sie versucht, das Verhalten der zu Eziehenden relativ dauerhaft dahingehend zu verändern, dass es ihren gesetzten Erziehungszielen entspricht.
Kategorisiert wird hier nach zwei Gegensatzpaaren:
- Unterstützende Maßnahmen: Eine Verhaltensweise wird erlernt oder aufgebaut
- Gegenwirkende Maßnahmen: Eine Verhaltensweise wird verlernt oder abgebaut
- Direkte Maßnahmen: Die Erzieherin versucht, "von Angesicht zu Angesicht" Einfluss auf das Verhalten der zu Erziehenden zu nehmen
- Indirekte Maßnahmen: Die Erzieherin selbst steht im Hintergrund, der beabsichtigte Erziehungseffekt soll durch Situationsbedingungen herbeigeführt werden
Lob und Belohnung
Lob und Belohnung sind von der Erzieherin eingesetzte Verhaltenskonsequenzen, die eine angenehme Wirkung haben und damit erreichen sollen, dass das erwünschte Verhalten von der zu Erziehenden erlernt und häufiger gezeigt wird.
Lob besteht dabei meist in Äußerungen über eine Person (Verbal, Mimik, Gestik, etc.), die in einem angenehmen zwischenmenschlichen Kontakt bestehen, es handelt sich um soziale Verstärker.
Unterschieden wird im Kontext der Belohnung zwischen materiellen und immateriellen Verstärkern.
Es gibt zwei verschiedene Arten der Belohnung:
- Belohnung erster Art: Darbietung einer angenehmen Verhaltenskonsequenz
- Belohnung zweiter Art: Entfernen eines unangenehmen Zustandes
Mögliche Wirkungen von Lob und Belohnung:
- Erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit des entsprechenden Verhaltens
- angenehmes Gefühl bei der Belohnten
- Motivation für das Zeigen des erwünschten Verhaltens
- Information, dass das gezeigte Verhalten erwünscht ist
- Entwicklung von Sicherheit und Selbstvertrauen durch Bestätigung
Probleme von Lob und Belohnung:
- "Overjustification effect": Extrinsische Motivation für das zeigen bestimmter Verhaltensweisen
- Es handelt sich bei Lob und Belohnung um einen Akt der Machtausübung vonseiten der Erzieherin
Erfolg
Unter Erfolg wird eine angenehme Konsequenz verstanden, die unmittelbar aus einer bestimmten Verhaltensweise, Handlung oder einem Sachverhalt hervorgeht.
Hier bestehen dieselben positiven Wirkungen wie bei Lob und Belohnung, darüber hinaus bestehen zusätzliche Vorteile:
- Die zu Erziehende Handelt um der Sache willen, nicht wegen extrinsischen Anreizen
- Die zu Erziehende kann sachbebezogene Motivation aufbauen und "Freude an der Sache" entwickeln
- Sie ist nicht vom Wohlgefallen der Erzieherin abhängig
- Eine Fremdbestimmung wird verhindert
Das Arrangieren von Erfolgserlebnissen wird als Ermutigung bezeichnet.
Ermutigung bedeutet das Arrangieren von Erfolgserlebnissen, die das Selbstwertgefühl der zu Erziehenden heben, zur Orientierung an der Sache führen und dadurch eine sachbezogene Motivation aufbauen sowie seine Selbstbestimmung fördern.
Strafe und Bestrafung
Strafe und Bestrafung sind von der Erzieherin eingesetzte Verhalteskonsequenzen, die eine unangenehme Wirkung haben und damit erreichen sollen, dass das nicht erwünschte Verhalten von der zu Erziehenden weniger häufig bzw. nicht mehr gezeigt und verlernt wird.
Auch hier wird zwischen Bestrafung erster und zweiter Art unterschieden.
Auswirkungen/Probleme der Bestrafung:
- das unerwünschte Verhalten wird lediglich unterdrückt und verzögert, nicht beseitigt
- Verursacht unerwünschte Reaktionen wie Flucht, Vermeidung, Lügen, Verheimlichen, etc.
- Verursacht ungewünschte Gefühle wie Angst, Missgunst, Leid, Rache, Neid, etc.
- Führt nicht zur Einsicht des Fehlverhaltens, sondern führt lediglich zur Abschreckung
- Belastet die emotionale Beziehung zwischen Erzieher und zu Erziehendem
- Wirkt sich negativ auf die Gesamtentwicklung aus (geringes Selbstwertgefühl, Einschränkung des Explorationsverhaltens, verhindert Mündigkeit, etc.)
Was gilt es zu beachten, wenn bestraft wird?
- gleiche Strafe für gleiches Verhalten
- wenn bestraft wird, dann direkt nach dem Fehlverhalten
- Strafen müssen mit dem Fehlverhalten in Verbindung stehen und dürfen nicht willkürlich und unbegründet sein
- Eltern sollten bemüht sein, das Fehlverhalten ihres Kindes zu verstehen, um aus diesem angemessene Konsequenzen ziehen zu können
- Das Verhalten soll gestraft werden, nicht die Person
- Hinter Fehlverhalten steckt oft ein Hilferuf, also sind Strafen oft kontraproduktiv
Strafe hat keinen erzieherischen Wert und darf nur als Ordnungsstrafe verstanden werden, um Menschen zu schützen. Sie hat signifikante Nebenwirkungen und sollte nur eingesetzt werden, wenn keine Alternative besteht!
Alternativen zur Strafe
Wiedergutmachung:
Wiedergutmachung bedeutet, den verursachten Schaden in Ordnung zu bringen bzw. das Fehlverhalten zu bereinigen.
Sachliche Folge
Unter sachlicher Folge wird eine unangenehme Konsequenz verstanden, die unmittelbar aus einer bestimmten Verhaltensweise, Handlung oder einem Sachverhalt hervorgeht und so zu einer Verhaltensänderung bewegt.
Hier wird unterschieden zwischen der natürlichen Folge, bei der die Konsequenz vollkommen unabhängig von der Erzieherin eintritt, und einer logischen Folge, die sich arrangieren lässt.
Erziehungsstile
Die drei Stile nach Lewin
- Laissez-Faire:
- passive Erzieherin, Leistung wird nicht kommentiert, maximaler Freiraum, minimales Regelwerk, Auskunft wird nur nach ausdrücklichem Verlangen selbiger, und auch nur im verlangten Ausmaß gegeben
- Autoritär:
- aktive Führerin, Aufbau von Druck, Kritik ist personenbezogen, Drohung, Strafe, Einschüchterung, Erzieher übernimmt Verantwortung für die Gruppe
- Demokratisch:
- Ziel wird angegeben, ein Lösungsweg wird angeboten, Freiraum innerhalb der Aufgabenstellung, Wertschätzend, Verständnisvoll, Verbesserungsvorschläge auf Nachfrage, Entscheidungen werden in der Gruppe getroffen, ganze Gruppe trägt Verantwortung
Das dimensionsorientierte Konzept nach Tausch/Tausch
Das Dimensionsorientierte Konzept basiert auf einem Koordinatenspektrum, bei dem die x-Achse von 0 – 6 den Lenkungsgrad und die y-Achse von -3 – 3 die Wert- bzw. Geringschätzung definieren.
Die vier Dimensionen nach Tausch/Tausch:
Tausch/Tausch entwickelten ihr Dimensionsmodell später weiter, um 4 verschiedene Dimensionen abzudecken, die jeweils von 1 – 5 reichen.
- Geringschätzung bis hohe Wertschätzung
- kein Verstehen bis vollständiges Verstehen
- Fassadenhaftigkeit bis Echtheit
- keine fördernden, nicht dirigierenden Tätigkeiten bis viele fördernde, nicht dirigierende Tätigkeiten